Worum geht es?
Die Hermann-Lietz-Schule Haubinda und die Gemeinde Westhausen haben eine ungewöhnliche Kooperation beschlossen, um die aufgegebenen Dorfläden in beiden Ortsteilen als Einkaufs- und Begegnungsmöglichkeit neu zu gestalten und in frischem Flair gemeinsam zu betreiben.
Die HLS betreibt seit März 2015 einen eigenen kleinen Dorfladen in Haubinda, das „Schaufenster“. Dafür wurde das leerstehende Feuerwehrhäuschen renoviert und liebevoll eingerichtet.
Bereits 2 Jahre später war das Häuschen für den gut angenommenen Laden zu klein geworden. Seit dem Frühjahr 2018 wird ein ehemaliger Getränkeladen als neues Domizil eingerichtet.
Der Westhäuser „Konsum“ schloss Anfang 2018. Vor allem die älteren Einwohner*innen vermissen die Möglichkeit, ohne Autofahrt selbständig einkaufen gehen zu können. Das fällt um so schwerer ins Gewicht, als auch Arztpraxis, Bank und Tankstelle als Möglichkeiten zur Begegnung weggefallen sind und in der Region außer Schulbussen kaum ÖPVN existiert.
Für den Gemeinderat hat eine lebendige Dorfstruktur mit vielen Begegnungsmöglichkeiten hohe Priorität und so wurde intensiv beraten, wie der Verlust des Ladens aufgefangen werden kann. Die Lösung ist so bestechend wie innovativ: Die Gemeinde als Eigentümerin des Gebäudes stellt dieses der HLS kostenlos zur Verfügung, die Schulhandwerker renovieren Laden und Lagerräume. Eine in Westhausen ansässige Verkäuferin wurde angestellt, um in Zusammenarbeit mit Schüler*innen der Fachoberschule (Wirtschaftszweig) den Laden zu führen. Damit wurde ein zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen.
Beide Läden werden miteinander kooperieren, z.B. gemeinsam Waren einkaufen, sich aber dennoch auf ihre jeweilige Zielgruppe konzentrieren. Während in Haubinda vorrangig Eigenprodukte des Internats (Saft, Honig, Töpferwaren…) sowie Fairtrade-Süßigkeiten und Getränke verkauft werden, sind es in Westhausen die Dinge des täglichen Bedarfs. Die Öffnungszeiten richten sich nach den Bedürfnissen eines kleineren Dorfes: Morgens alles fürs Frühstück kaufen, am Vormittag kommen eher die Senior*innen und jungen Mütter, über Mittag ist eine längere Pause vorgesehen und dann öffnet der Laden rechtzeitig vor Feierabend. Erfahrungsgemäß ist samstags mit den meisten Kund*innen zu rechnen.
Auch in Westhausen werden je nach Jahreszeit Produkte der HLS angeboten – im Sommer Tomaten und Gurken aus dem Gewächshaus der Schule, später Obst, Nüsse, Fruchtaufstriche und Stollen aus dem Dorfbackhaus.
Der Laden ist für Westhausen nicht nur als Einkaufsmöglichkeit von Bedeutung, sondern auch als Treffpunkt. Daher wird ein gemütlicher Café-Bereich eingerichtet. Bequeme Sitzmöbel, die in der Schreinerei der HLS gebaut werden, guter Kaffee und heiße Schokolade laden zum Verweilen ein, genauso wie wechselnde Kunstausstellungen, die die Kunstlehrerinnen betreuen und eine Tauschbibliothek, um die sich die Schulbibliothekarin kümmert. So entstehen Möglichkeiten zu Begegnungen, was für die Lebensqualität im Dorf eine zentrale Bedeutung hat.
Im „Schaufenster“ erlernen Schülerinnen und Schüler der Klassen 7-10 die kaufmännischen Grundlagen, in Westhausen kommen die Fachoberschüler*innen zum Zuge, die hier auch ihre praktischen Blöcke absolvieren können. Um dem demografischen Wandel Rechnung zu tragen, werden die Schüler*innen auch einen „Haustürservice“ v.a. für ältere Einwohner*innen in beiden Ortsteilen anbieten, der ihnen die Einkäufe liefert. Dazu dienen zwei Lastenfahrräder und Handwagen. Da die Ortsteile durch einen Radweg verbunden sind, können auch Waren von Haubinda (z.B. Gemüse) CO2-neutral per Fahrrad von den Schüler*innen nach Westhausen transportiert werden.
Das Marketing läuft für beide Läden gemeinsam: es sind einheitliche Kaffeetassen mit Logo geplant, dieselben Einkaufskörbe, ein Faltblatt soll der Kundschaft das Konzept erklären, beide Läden erhalten ein gedrucktes Ladenschild und einen Werbe-Fahrradständer.
Was sind unsere Ziele?
Wie bereits bei früheren Agenda21-Projekten fördern die beiden Läden Kontakte zwischen Generationen, werden ländliche Traditionen neu belebt und für junge Menschen attraktiv. Das gilt insbesondere für die Arbeiten im Backhaus. Die Jugendlichen finden es faszinierend in dem großen Dorfbackofen Brot und Kuchen zu backen. Um das in Zukunft häufiger tun zu können, soll ein Nebenraum des „Schaufensters“ als Backstube eingerichtet werden. Bisher bekommen wir den Brotteig fertig vom Bäcker und die 50 Stollen müssen in der Hauswirtschaftsküche von Hand geknetet werden. Mit einer Knetmaschine kann zukünftig alles selbst hergestellt werden – auch in größeren Mengen, denn bisher geht immer ein Teil der Interessent*innen leer aus.
Bis zum Frühjahr sollen beide Läden und die Backstube renoviert und eingerichtet werden.
Das Konzept der Nachhaltigkeit zieht sich von den Baumaßnahmen, über Ausstattung bis zu Sortiment und Marketing durch. So erhält der Westhäuser Laden neue wärmetechnisch günstige Fenster und auf dem Dach des Haubindaner Ladens erzeugt eine Photovoltaikanlage nicht nur den Strom für Laden und Backstube. Wo möglich und sinnvoll kommen gebrauchte Geräte (Kühltechnik von Edeka), recycelte Baumaterialien (Türen und Fenster) und Inventar (Lagerregale aus einem Hofladen) aus der Umgebung zum Einsatz.
Die Waren werden überwiegend aus der Region bezogen (Bäcker, Fleischer, Gärtnerei, Getränke, Milchprodukte); der Thüringer Lieferant, der die Schulküche 2x pro Woche mit Obst und Gemüse beliefert, fährt auch den Laden in Westhausen an, so dass kein zusätzlicher Transport entsteht. Die Süßigkeiten im „Schaufenster“ sind bereits Fairtrade, wir hoffen, dass diese Produkte auch im anderen Laden angenommen werden.
Für die Kinder und Jugendlichen ergeben sich Möglichkeiten, kaufmännische und handwerkliche Berufsfelder kennenzulernen. Die Fachoberschüler müssen nicht mehr in künstlichen Übungsfirmen Einkauf, Verkauf, Inventur… erlernen, sondern erleben es „live und in Farbe“. Zudem werden ein Teil der Waren innerhalb des Internats erzeugt. Die schuleigene Landwirtschaft liefert Honig, Wurst, Saft, Obst, Gemüse aus naturnaher Landschaftsnutzung (Streuobstwiesen, Bewässerung aus Zisternen). Hinzu kommen Naturkosmetik, Töpferwaren oder Holzspielzeug. Die Wolle der Schafe wird verwebt und gefilzt oder zu ökologischen Düngerpellets verarbeitet.
So entsteht Wertschätzung für handwerkliche und landwirtschaftliche Erzeugnisse und das Denken in Kreisläufen wird eingeübt.
Wer ist unsere Zielgruppe?
Erwachsene 19 – 69 Jahre,
Generation 70+,
Kinder/Jugendliche,
regionale Akteure
Wie ist das Projekt lokal und regional verankert?
Die Zusammenarbeit mit Handwerksbetrieben in der Umgebung hat bereits mit dem kleinen „Schaufenster“ begonnen und soll weiter ausgebaut werden. Das stärkt die regionale Wirtschaft und sorgt für eine gute Einbindung der Schule in der Region. So arbeiten wir langfristig mit einer Gärtnerei zusammen, die dann auch den 2. Laden mit Blumen und Setzlingen beliefern wird. Ein großer Teil des Sortiments (Backwaren, Fleisch, Molkereiprodukte, Getränke) werden aus der Umgebung bezogen.
Die Idee (und ihre Umsetzung!) eines eigenen Dorfladens wurde bereits mehrfach honoriert. So erhielt die Gründer-Klasse den Titel “Thüringer Klimahelden” und zusätzlich zum Preisgeld einen Getränkekühlschrank von Thüringer Waldquell.
Die Kooperation von Schule und Gemeinde hat einen hohen Stellenwert, die Idee der „Zwei Marktplätze“ wurde zum Weihnachtsmarkt der HLS öffentlich vorgestellt. Weitere Veröffentlichungen erfolgen in der Lokalpresse, auf der Internetseite der Schule sowie bei Messe- und Präsentationsveranstaltungen (z.B. Bildungsmessen). Hinzu kommen Werbedrucke und ein Faltblatt, das den Einwohner*innen das Konzept erklärt. Über das Nachhaltigkeitszentrum Thüringen erfolgt eine landesweite Präsentation. Zudem vertieft das Projekt die bestehenden Kooperationen mit Vereinen und anderen Institutionen. Feuerwehr-, Kirmes- und Sportverein können dann wieder im Ort für ihre Aktivitäten einkaufen, ebenso wie Kirchgemeinde und Kindergarten. Dazu gehören v.a. gemeinsame Feste, wie Erntedank, Sankt Martin oder Kirchweih.
Worin liegt die Innovation unseres Projektes?
In einer Zeit, in der ländlichen Regionen Verödung droht, setzen wir auf ein Dorfleben, das auch für junge Leute attraktiv ist. Alte und Junge profitieren voneinander.
Vieles läuft in unserem Ort anders: Sonst fahren die Kinder morgens in die Stadt – hier bringen die Schulbusse Schüler*innen aus den Städten Hildburghausen, Römhild und Coburg aufs Dorf. Schulgelände werden eingezäunt und Türen abgeschlossen – hier steht ein ganzes Dorf als Lernort zur Verfügung. Ältere Leute machen einen Bogen um die Jugendlichen nach Schulschluss – fitte Rentner kommen am Nachmittag, backen, spielen, basteln mit den Kindern, geben handwerkliche Fähigkeiten weiter.
An dieser Stelle fügt sich der Dorfladen logisch in das Gesamtkonzept ein. Die Jugendlichen erhalten die Möglichkeit ganz real Verantwortung zu übernehmen, wirtschaftliches Handeln einzuüben und erste berufliche Erfahrungen zu sammeln. Über die Lastenfahrräder und die Kooperation mit der Schulversorgung laufen Warentransport und Lieferservice nahezu CO2-neutral.
Der Laden muss nicht Gewinne maximieren, sondern kann Teile der Verkaufsfläche als Ort der Begegnungen (Café und Kunst) zur Verfügung stellen.
Die Produkte der schuleigenen Landwirtschaft und Werkstätten erfahren durch den Verkauf eine Aufwertung, auch das Ausstellen der Kunstwerke stellt eine Würdigung der Schüler-Arbeiten dar. In den Werkstätten der Schule erlernen die Kinder wertvolle Grundlagen, die sie dann in Form von Praktika in umliegenden Betrieben vertiefen können.
Dabei zählen für uns langfristige Effekte. Bei uns stehen Persönlichkeitsbildung und Nähe zur Natur im Blickpunkt. Freude am Lernen ist die Voraussetzung für ein lebenslanges Lernen. Deshalb setzen wir es uns zum Ziel, bei unseren Schülerinnen und Schülern die Freude am Lernen zu wecken und zu fördern.
Von großem Wert ist die bewusst gewählte Lage auf dem Lande. In einer schnelllebigen Zeit bietet dies den Heimbürger*innen die Möglichkeit, aus der Natur Ruhe zu schöpfen und ein ökologisches Bewusstsein zu entwickeln. Dabei lernen sie nachhaltig durch die praktizierte Landwirtschaft mit natürlichen Ressourcen umzugehen und den Naturkreislauf der Produktion nachzuvollziehen. Die bewusste Reduzierung schärft den Blick für das Wesentliche und spiegelt eine gesunde Lebensweise wider.
Wer sind wir?
Die Hermann-Lietz-Schule Haubinda ist eine staatlich anerkannte Schule in freier Trägerschaft mit den Schulformen: Grundschule, Regelschule, Fachoberschule und Berufliches Gymnasium. Es können alle Schulabschlüsse erworben werden.
Von den 400 Schülerinnen und Schülern der Klassen 1-13 leben 120 im angeschlossenen Internat. Sie wohnen in 13 altersgemischten „Familien“, betreut von fest im Haus lebenden Pädagog*innen (kein Schichtdienst). Das ermöglicht den Aufbau stabiler Beziehungen.
Rund 100 Mitarbeitende kümmern sich um die Schule und das 90ha große Gelände. Sie sind alle direkt bei der Stiftung angestellt und werden nach Tarif bezahlt. Ob Küche, Reinigung oder Handwerker – es gibt kein Outsourcing. Damit ist die Einrichtung einer der größten Arbeitgeber in der Region.
Praktische Arbeiten spielen eine große Rolle im Schulalltag. Zudem werden mehr als 50 „Gilden“ an den Nachmittagen und Wochenenden angeboten. Dabei werden die Kinder und Jugendlichen in allen Bereichen mit eingebunden.
Laufzeit der Förderung
12 Monate
Höhe der Förderung
40 400,00 EUR