Worum geht es?
Im Durchschnitt besitzen Verbraucher*innen heute etwa vier Mal so viel Kleidung als vor etwa 40 Jahren. Billige Verfügbarkeit, Trends und häufige Kollektionswechsel stimulieren einen schnellen Konsum und eine kurze Nutzungsdauer. Einzelne Stücke werden oft nur 1,7 Mal getragen und manchmal landet Kleidung völlig ungetragen im Müll. Asien ist Hauptexporteur von Textilerzeugnissen weltweit. Etwa 90% der Textilien werden dort produziert und giftige Abwasser verschmutzen oft ungeklärt Flüsse und Gewässer. Für die Herstellung von 1 kg Textilien werden bis zu 1 kg Chemikalien und bis zu 300 Liter Wasser benötigt. Die Produktion ist zudem energieintensiv und das Recyceln von Rohstoffen und Produkten äußerst schwierig. So verzeichnet die Textil- und Bekleidungsindustrie bislang eine ausgesprochen negative Ökobilanz. Neben den Aspekten für Umwelt und Klima sind auch in der Förderung von sozialer und fairer Produktion noch viele Schritte zu gehen. In Produktionsländern herrschen oftmals schlechte und teilweise gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen. Gleichberechtigung, existenzsichernde Löhne sowie Bildung liegen in der Massenproduktion noch in weiter Ferne.
Südwesttextil sieht sich als Verband der Textil- und Bekleidungsindustrie in der Verantwortung gemeinsam mit seinen Mitgliedern und seinem breiten Netzwerk an Akteur*innen, an Innovationen und Strategien zu arbeiten, um Nachhaltigkeit in der Textilbranche zu fördern und flächenwirksam durchzusetzen. Der Landesverband steht für eine lange Industriegeschichte, die aber auch von einem gewaltigen Strukturwandel geprägt wurde. So ist nur noch ein Bruchteil der Unternehmen und Arbeitsplätze der ehemals großen, vollstufigen Textilwirtschaft an den Standorten auf der schwäbischen Alb und im südbadischen Raum vorhanden. Die Unternehmen, die diesen Prozess überlebt haben, sind dafür umso mehr ein fester Bestandteil der baden-württembergischen Industrielandschaft. Die Textilforschungsinstitute Hohenstein und Denkendorf sowie die Hochschulstandorte Albstadt-Sigmaringen und Reutlingen ergänzen und unterstützen die Industrie, sodass in Baden-Württemberg nach wie vor eine einzigartige Textillandschaft vorhanden ist. Das sogenannte „Textile Valley“ bildet so nach wie vor die gesamte textile Kette ab und ist Heimat von einigen Hidden Champions, die sich über die Jahre immer wieder neu erfunden haben und mit innovativen Produkten am Markt erfolgreich sind. Einige dieser Unternehmen, besonders diejenigen, die direkt für den*die Endkund*in produzieren, haben ihre Tätigkeiten daher intrinsisch motiviert möglichst nachhaltig ausgerichtet.
So gibt es im Textile Valley bereits schon jetzt einige Best-Practice-Beispiele im Bereich Nachhaltigkeit, die in ihrer branchenübergreifenden Strahlkraft eine Botschafter*innenrolle besitzen sowie einige sehr große und weltbekannte Textil- und Bekleidungsmarken, denen eine große Bedeutung zukommt und die eine entsprechende Hebelwirkung haben. Seit Beginn des Jahrtausends, spätestens seit dem Rana Plaza Unglück im Jahr 2013, steht für Unternehmen und Verband das Thema Nachhaltigkeit ganz oben auf der Agenda. Gemeinsam wird an strategischen Maßnahmen für die nachhaltige Entwicklung und deren Kommunikation nach außen gearbeitet. In diesem Prozess aber auch bereits in anderen Veränderungen in der Industrie, wie beispielsweise dem Wandel hin zu technischen Textilien, ist zwischen den überwiegend kleinen und mittelständischen Unternehmen eine überraschende Vernetzung zu beobachten.
Die ersten Grundsteine für eine Zusammenarbeit zwischen etablierten Unternehmen und Gründern im Bereich Nachhaltigkeit sind bereits durch Netzwerkaktivitäten und den Verband angestoßene Dialoge gelegt. Nun geht es auch für Südwesttextil auf ein neues Jahrzehnt zu und damit besteht die Chance, den Geist der Stunde in Aktivierung und Engagement umzuwandeln und mit den Mitgliedern eine gemeinsame Vision zu entwickeln.
Was sind unsere Ziele?
Das Ziel des Projektes ist es, aus der Industrie heraus eine gemeinsame Roadmap für das kommende Jahrzehnt zu schaffen. Die Netzwerkpartner sollen eine Plattform bekommen, um sich kontinuierlich über Themen der nachhaltigen Unternehmensführung und strategischen Zusammenarbeit auszutauschen. Darüber hinaus gilt es die Sichtbarkeit nach außen zu stärken.
In der angestrebten Projektphase soll es zunächst darum gehen, die Mitglieder in einem Workshop an einen runden Tisch zu bringen. Ziel ist es, mindestens 10% der Mitgliedsunternehmen, also circa 20 Unternehmen, als Leuchtturmgruppe in die Basisentwicklung einzubinden und mit Ihnen gemeinsam im Sinne des Nachhaltigkeitsziels Nr. 17 Partnerschaften zur Erreichung der Ziele zu knüpfen. Das Projekt soll zunächst diese Unternehmen dazu bewegen, ihre Aktivitäten im Bereich Nachhaltigkeit zu beleuchten und die Herausforderungen und Aufgaben für die Zukunft zu definieren. Im nächsten Schritt soll hier hinsichtlich des Nachhaltigkeitsziels Nr. 12 „Nachhaltige/r Konsum und Produktion“ die Grundlage für eine gemeinsame Checkliste geschaffen werden, die Schritt für Schritt die Hauptaufgaben für Unternehmen ins Visier nimmt. Ziel ist es, dass Unternehmen innerhalb des Projektzeitraums drei Herausforderungen bereits gemeinsam diskutieren und ausarbeiten. Bei der Auswahl wird auf eine Ausgeglichenheit der ökonomischen, ökologischen und sozialen Perspektiven geachtet. Auf Basis der Aufgabenliste sollen sich auch im weiteren Verlauf die Unternehmen jeweils mindestens zu drei der Hauptziele verpflichten und zu deren Bearbeitung berichten. Im Sinne des Nachhaltigkeitsziels Nr. 9 „Industrie, Innovation und Infrastruktur“ sollen Strategien für die gemeinsamen Herausforderungen entwickelt werden.
Gleichzeitig soll in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für nachhaltige Unternehmensführung und die regionalen Akteur*innen geschaffen werden. Dafür wird eine crossmediale Strategie entwickelt, die insbesondere die neuen Medienformate zielgruppenorientiert nutzt, um eine möglichst hohe Reichweite zu generieren. Dabei geht es nicht um die konkrete Bewerbung von Produkten oder das „Greenwashing“ von Unternehmensstrategien, sondern um die Sensibilisierung von Kund*innen für das Thema Nachhaltigkeit in der Textilindustrie durch konkrete Einblicke hinter die Kulissen. So soll insbesondere auch Transparenz geschaffen und ein realistischer Einblick gegeben werden, wie die Unternehmen die Herausforderungen im Bereich Nachhaltigkeit angehen.
Wer ist unsere Zielgruppe?
Erwachsene 19 – 69 Jahre,
Medien,
regionale Akteure
Wie ist das Projekt lokal und regional verankert?
Die rund 200 Mitgliedsunternehmen verfügen wir über ein breites Netzwerk. Ziel ist es, im Anschluss an das Projekt immer mehr der Mitgliedsunternehmen in den Nachhaltigkeitsprozess einzubeziehen und so die Wirkung zu multiplizieren. Im Anschluss an das Projekt im Rahmen des Ideenwettbewerbs sollen die Ergebnisse immer weiter konkretisiert werden und auch kontinuierlich aktualisiert und überprüft werden. Ziel ist es, durch die Präsentation im Rahmen des internationalen Nachhaltigkeitshubs „Neonyt“ im Rahmen der Berliner Fashionweek das Projekt national und international vorzustellen, um so Projektpartner*innen für gemeinsame Neuentwicklungen in der Industrie zu finden und das Projekt auch wirtschaftlich für die Unternehmen zu gestalten.
Nach der Leuchtturmphase des Projektes soll die crossmediale Kampagne noch verstärkt werden. Geplant ist hier auch eine Einbettung der Projektinhalte in bestehende Websitestrukturen des Verbandes, um dem Netzwerk eine ständige Webpräsenz zu bieten. Hierzu könnte beispielsweise die Homepage des auslaufenden Projektes „place2tex“ verwendet werden. Die crossmediale Kampagne soll im Anschluss an das Projekt noch differenzierter verschiedene Zielgruppen adressieren und könnte beispielsweise durch bestehende Kampagnen zur Sensibilisierung im Bereich Nachhaltigkeit, wie die Kampagne „Future Fashion“ der Stiftung für Entwicklungszusammenarbeit des Landes Baden-Württemberg, ergänzt werden. Außerdem sollen durch gemeinsame Messeauftritte und stationäre Konzepte wie gemeinsame Pop-up-Stores, Workshops (z.B. Reparieren/Upcycling) oder Modenschauen Kund*innen aktiviert werden. Im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit sollen gezielt junge Gründer und deren Community mit großer Reichweite in den sozialen Netzwerken als „Sinnfluencer“ genutzt werden, um eine neue Wertschätzung für Textilien und deren Produktion zu schaffen.
Nach der ersten Leuchtturmphase wird die konkrete Formulierung von gemeinsamen Forschungsvorhaben angestrebt. Durch Einbeziehung der Forschungslandschaft, insbesondere der Hochschule Reutlingen mit Forschung im Bereich Nachhaltige Transformation der Textilwirtschaft und dem größten Textilforschungsinstitut in Europa, den Instituten für Textil- und Faserforschung in Denkendorf, können gemeinsame Forschungsgelder beantragt und Technologien entwickelt werden. Zusätzlich kann das Partnernetzwerk Allianz Faserbasierte Werkstoffe (AFBW) genutzt werden, um auch über die Industrie hinaus Nachhaltigkeit voranzutreiben.
Worin liegt die Innovation unseres Projektes?
Der innovative Charakter des Projektes besteht zum einen aus einem Ansatz, der bei Südwesttextil bereits erfolgreich in verschiedenen Bereichen erfolgt: Die Zusammenarbeit im Netzwerk und das Lernen voneinander. Dieses ungewöhnliche Verhalten, welches bei Unternehmen, die sich in Region und Branche gleichen und damit direkt oder indirekt im Wettbewerb zueinanderstehen, eher ungewöhnlich ist, soll mit diesem Projekt unterstützt und konkret im Bereich Nachhaltigkeit umgesetzt werden. Die Unternehmen suchen die Gemeinschaft und die Inspiration, um sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen. So fungiert Südwesttextil bereits in unterschiedlichen Bereichen als überbetriebliche Stabsstelle, beispielsweise im Bereich Aus- und Weiterbildung und in der Öffentlichkeitsarbeit in Form von gemeinsamen Publikationen und Messeauftritten. Im Bereich Nachhaltigkeit hat es in der Vergangenheit bereits durch das entstehende Netzwerk bei Südwesttextil Kooperationen zwischen konventionellen Bekleidungsherstellern und nachhaltigen Gründer*innen gegeben, die sich durch eine gemeinsame Kollektion einem nachhaltigeren Geschäftsmodell annähern. Ebenfalls arbeiten nachhaltige Gründer*innen mit Traditionsunternehmen zusammen, um beispielsweise aus Restmaterialien neue Produkte zu kreieren. Über die Gesamtheit des Netzwerks haben sich auch Aktivitäten zur Verminderung der Ressourcenverschwendung entwickelt. So ermöglicht eine Wertstoffbörse den Austausch von Restrohstoffen unter den Mitgliedsunternehmen von Südwesttextil und der AFBW.
Eine große Stärke des Netzwerks besteht in seiner Vielfalt, denn Südwesttextil hat sich in den letzten Jahren von einem traditionellen Tarifverband zu einer agilen Industrie- und Innovations-Impulsgemeinschaft entwickelt. Von Upcycling Start-ups, die in Handarbeit hochwertige Einzelteile produzieren, bis zu Weltmarkführern mit über 10.000 Mitarbeiter*innen und über 200-jähriger Geschichte – die Akteur*innen sind so vielfältig wie die Industrie. Diese Vielfalt findet sich ebenfalls in den unterschiedlichsten Ansätzen im Bereich der Nachhaltigkeit wieder: vom Betriebskindergarten und einer Initiative zur Integration von Geflüchteten bis hin zum Einsatz von recycelten Garnen und eigenen fair trade zertifizierten Biobaumwollprojekten. Dies will sich das Projekt zunutze machen, um sowohl den Kulturwandel in der Industrie als auch die Wahrnehmung und Wertschätzung der Öffentlichkeit zu steigern.
Wer sind wir?
Die Textil- und Bekleidungsindustrie ist Deutschlands zweitgrößte Konsumgüterindustrie und Weltmarktführer für technische Textilien. Südwesttextil vertritt die Interessen der Branche in Baden-Württemberg. Der Wirtschafts- und Arbeitgeberverband ist eine Gemeinschaft von rund 200 Unternehmen mit 7 Mrd. Euro Umsatz und 24.000 Beschäftigten. Viele sind wichtige Zulieferer für die Autoindustrie, Luft- und Raumfahrt und Medizin oder machen mit attraktiver Mode und hochwertigen Heimtextilien den Alltag schöner und komfortabler. Südwesttextil ist Berater für seine Mitglieder, Netzwerker in Politik und Wirtschaft, Sozialpartner in der Tarifpolitik, Förderer der Textilforschung und des Engagements für soziale und ökologische Standards.
In der Verbandszentrale in Stuttgart arbeiten 17 Mitarbeitende in den Abteilungen Recht+Betriebspraxis, Lobby+Netzwerk, Technik+Umwelt, Fachkräfte+Märkte sowie in Kommunikation+Event mit dem Bereich Nachhaltigkeit für das Netzwerk.
Laufzeit der Förderung
11 Monate
Höhe der Förderung
50 000,00 EUR