Worum geht es?
Die invasive Wasserhyazinthe (Eichhornia Crassipes) ist ein globales Problem: Ihre Verbreitungsrate ist unter bestimmten Umständen extrem schnell, sie kann sich ausbreiten, um Befall in großen Wasserflächen zu verursachen, der eine Vielzahl von Problemen verursacht. Sie wächst in bis zu 2 Meter dicken Matten, die Licht und Sauerstoff reduzieren, die Wasserchemie verändern, Flora und Fauna beeinflussen und den Wasserverlust durch Evapotranspiration deutlich erhöhen können. Sie verursacht zudem praktische Probleme für den Seetransport, die Fischerei und die Aufnahme von Wasserkraft und Bewässerungssystemen. In den letzten 10 Jahren hat die rasante Ausbreitung der Pflanze in vielen Teilen Afrikas zu großer Sorge geführt.
In Äthiopien hat sich die Wasserhyazinthe extrem am Lake Tana ausgebreitet. Der Lake Tana ist der größte See Äthiopiens und hält 50% des Süßwassers des Landes. Er ist auch die Quelle des Blauen Nils, der bis zu 60% des Wassers des Nils ausmacht. Der See ist nicht nur sehr wichtig als Wasserquelle für über 123 Millionen Menschen im Nilbecken, sondern wird vielseitig für Verkehr, Tourismus, Wasserkraftwerke, Umweltschutz und Fischerei genutzt. Jedoch kann der invasive Charakter der Wasserhyazinthenpflanzen potenziell in eine Einkommensquelle für die lokalen Gemeinschaften umgewandelt werden. Die Stängel können nicht nur zur Herstellung von Körben, Stühlen und anderen Möbelstücken, sondern auch als effektive Düngemittel, Biogas und für die Herstellung von biologisch abbaubare Damenbinden verwendet werden. Dann können die Vorteile der harten, aber dennoch robusten, flexiblen Fasern dieser schnell nachwachsenden Pflanze genutzt werden, um einen zukünftigen, nachhaltigen Rohstoff für die lokale und globale Modeindustrie herzustellen.
Ein Hauptgrund, dieses Projekt mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit in der Modebranche nach Äthiopien zu legen, ist die Entwicklung der Fast-Fashion-Industrie, die ihre Produktionszentren nach Äthiopien verlagert. Es ist eines der ältesten Länder der Welt. Es ist das bevölkerungsreichste und größte Land am Horn von Afrika. Die äthiopische Bevölkerung umfasst derzeit rund 110 Millionen Menschen, wobei die Wachstumsrate zu den höchsten in Afrika gehört.
Während die Zahl der lokalen äthiopischen Designer*innen steigt, bedroht eine schnell wachsende Entwicklung der globalen Fast-Fashion-Unternehmen in Ostafrika die Existenz traditioneller Techniken. Auf dem Spiel steht zugleich das selbständige Unternehmertum in der lokalen Bekleidungsbranche. Die Modeproduktion im globalen Süden, wo momentan die meisten Kleidungsstücke produziert werden, hat in letzter Zeit aufgrund zahlreicher Verstöße gegen Arbeitnehmerrechte und Umweltkatastrophen viel negative Presse erhalten. Dies ist durch die neue Forderung von Modekonsument*innen nach mehr Transparenz innerhalb der globalen Herstellungsketten bedingt. Nachhaltig zu produzieren kostet auch mehr Geld. Folglich versuchen globale Unternehmen, ihre Produktionsbereiche in das noch kostengünstigere Äthiopien auszulagern. So ist zu erwarten, dass sich Ostafrika aufgrund billiger Arbeitskräfte und einer hohen Jugendarbeitslosigkeit zum neuen ‚Hotspot‘ für Fast-Fashion-Unternehmen entwickelt.
Diese Entwicklung ist auch auf ein starkes Engagement Chinas, dem größten Handelspartner Äthiopiens, zurückzuführen. Neben dem Bau von Staudämmen, Straßen, Mobilfunkleitungen und Eisenbahnen finanzieren chinesische Investor*innen verschiedene Industrieparks wie den „Hawassa Industrial Park“ im Süden von Addis Abeba, der auf früher landwirtschaftlich genutzten Feldern entstand. Meistens versuchen junge Frauen aus ländlichen Gebieten, in einem dieser Industrieparks Arbeit zu finden. Vor allem diejenigen Länder, die einst als „arme Länder der Dritten Welt“ galten, agieren heute als Zwischenhändler, die die Produktion für H&M, Levi’s, Guess und die PVH-Gruppe in Äthiopien ankurbeln.
Was sind unsere Ziele?
Durch eine mechanische, weichmachende Behandlung werden die Fasern der Wasserhyazinthe fein und fit für das Einweben in Textilien. Nach Ansicht des philippinischen Textilforschungsinstituts (PTRI) sind die Stängel der Wasserhyazinthe eine lebensfähige, natürliche Quelle für ein alternatives Textilmaterial. Diese Faser wird bereits auf den Philippinen, in Thailand und Indonesien gewebt und zu Bekleidung und Schuhen verarbeitet.
Die Durchführung dieses Projektes kann dazu beitragen, eine lokale Industrie in Äthiopien förderlich zu etablieren, um die Wasserhyazinthe in einen zukünftigen, nachhaltigen Rohstoff für die lokale und globale Modeindustrie zu verwenden. Dadurch kann die lokale Jugendarbeitslosigkeit reduziert, eine zusätzliche Einnahmequelle geschaffen und so die Ausbeutung der vorrangig weiblichen Arbeiterinnen in der Fast Fashion Industrie in Äthiopien vermindert werden.
Auf die globale Modebranche gehen derzeit rund zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissionen zurück, die mehr Energie als die Luft- und Schifffahrtsindustrie zusammengenommen verbraucht. Solch gravierende ökologische Auswirkungen sind, ebenso wie die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, der (hauptsächlich weiblichen) Arbeitnehmer*innen in den Lieferketten, nicht mehr zeitgemäß und akzeptabel.
Kate Fletcher, eine der Gründerinnen und Erforscherinnen der Slow-Fashion-Bewegung, fordert deshalb eine „Überprüfung des gesamten Design-, Produktions- und Vertriebsprozesses“. Dies erfordert letztlich strategische Innovationen, um die Bedürfnisse der Verbraucher*innen, neue Möglichkeiten für angebotene Dienstleistungen und Produkte und deren Angebote zu ermitteln. Überlegungen, wie sie in der vorstehenden Gedankenskizze ausgeführt worden sind, begründen die Projektinitiierung des Responsive Fashion Institutes in Addis Abeba, das sich – ganz seiner responsiven Berufung folgend – auf zeitgemäße, nachhaltige, innovative und vor allem sinnvolle Initiativen mit Fokus auf die Zukunft der Mode konzentriert.
Wer ist unsere Zielgruppe?
Erwachsene 19 – 69 Jahre,
Generation 70+,
Kinder/Jugendliche,
Politik,
regionale Akteure
Wie ist das Projekt lokal und regional verankert?
Wie in vielen anderen Entwicklungsländern galt auch hier die Modebranche als Katalysator für die Ankurbelung der Wirtschaft und die Beseitigung der Armut. Die Branche brachte jedoch nicht nur für die jungen weiblichen Beschäftigten negative Auswirkungen mit sich. Angesichts der tatsächlichen Kosten der ökologischen Auswirkungen dieser Branche stellt sich die Herausforderung, ein Wirtschaftswachstum mit nachhaltigen Methoden voranzutreiben. Die Fehler der Fast-Fashion-Industrie, die bereits in Ländern wie Bangladesch und den Philippinen begangen wurden, gilt es, anderswo zu vermeiden.
Mit diesem internationalen, interdisziplinären Projekt wird eine experimentelle Entwicklung und Testung von innovativen und sozial relevanten Konzepten einer Verwendung der Wasserhyazinthe für die Zukunft der Mode vorangetrieben, zusammengetragen und verbreitet.
Durch einen Runden Tisch von internationalen Expert*innen zu der Wasserhyazinthe und innovativer Materialforschung, wird deren Wissen und Forschung ausgetauscht. Dieses umfangreiche Know-how kann dann in den Prototyping-Prozessen der Workshops eingesetzt werden.
Worin liegt die Innovation unseres Projektes?
Durch zwei kreative Workshops (Fashion Hackathons) in Äthiopien und in Deutschland werden kreative, innovative Materialanwendungsmöglichkeiten der Wasserhyazinthe in der Mode gesammelt und getestet. Zusätzlich werden nationale und internationale Ausstellungen (Addis Abeba, München) und anschließend eine Wanderausstellung organisiert, auf denen die Ergebnisse der kreativen Workshops und die neuesten Entwicklungen gezeigt werden. Unterstützt werden diese Initiativen durch die Schaffung einer digitalen Plattform, um einen weiteren, aktuellen Wissensaustausch zu diesem Thema zu fördern.
Die entwickelten Materialien werden mit einem intelligenten „smart tag“ gekennzeichnet, der die Informationen der Materialherstellung am Beginn der Lieferkette von Kleidungsstücken festhält. Durch die Verwendung dieser Blockchain-Technologie werden die Einhaltung von Nachhaltigkeits- und Sozialstandards entlang der Lieferkette zukünftiger Kleidungsstücke dokumentiert und bestätigt und bilden somit die Grundlage für ein offenes System der vollständigen Rückverfolgbarkeit. Durch eine derartige transparenten Herstellungskette wird jegliche Möglichkeit von ‚Greenwashing‘ in der Herstellung von Kleidungsstücken ausgeschlossen.
Wer sind wir?
Das Responsive Fashion Institute bietet eine Plattform, um experimentelle, zukunftsorientierte und nachhaltige Technologien für lokale und globale Fragestellungen der Modebranche zu prototypisieren, kommerzialisieren und zu fördern.
Das Ziel des Instituts besteht darin, die Diskussion über Innovation und Nachhaltigkeit zu verstärken, Produkte zu entwickeln, Designansätze zu testen, ein nachhaltiges Engagement zu fördern und einen Dialog über die Zukunft der Mode zu unterstützen.
Laufzeit der Förderung
12 Monate
Höhe der Förderung
50 000,00 EUR